Dissertationspreis

Preisträgerin 2015

Leonie Treber

Mythos Trümmerfrauen. Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes / Darmstadt 2013

Der Dissertationspreis des Arbeitskreises Historische Frauen- und Geschlechterforschung geht 2015 an Leonie Treber für ihre Dissertation, die als Buch unter dem Titel „Mythos Trümmerfrauen. Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes“ (Dissertation Darmstadt 2013; Essen 2014: Klartext) erschienen ist. Insgesamt waren zehn Bewerbungen eingegangen und die vom Vorstand eingesetzte unabhängige, sechsköpfige Jury betonte die insgesamt hohe Qualität der Einreichungen. Die Wahl Leonie Trebers als diesjährige Preisträgerin wurde dreifach begründet: Neben ihrer wissenschaftlichen Qualität sei die Forschungsarbeit ein Beispiel dafür, welchen überzeugenden Beitrag historische Geschlechterforschung für die deutsche Zeitgeschichte zu leisten vermag. Die Dissertation zeige darüber hinaus, wie wichtig es sei, verfestigte mediale Geschichtsbilder, die unhinterfragt in der Öffentlichkeit zirkulieren, einer geschichtswissenschaftlich fundierten Kritik zu unterziehen. Zwar dekonstruierten bereits Aufsätze von Marita Krauss und Nicole Kramer die visuelle Ikone Trümmerfrau, doch eine ausführliche und systematische Ausarbeitung, die in geschlechtergeschichtlicher Perspektive sowohl die sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen wie die begriffs- und erinnerungskulturellen Dimensionen des Phänomens Trümmerfrau aufarbeitete, leistete erst die Dissertation von Leonie Treber. Auf einer sehr breiten, gedruckten wie archivalischen Quellenbasis stellte sie die unterschiedlichen Voraussetzungen, Organisationsformen und Praktiken von Enttrümmerungsarbeiten in einzelnen Kommunen der vier Besatzungszonen dar. Leonie Treber konnte zeigen, dass Frauen in größerer Zahl nur in Berlin und in der SBZ an der Trümmerräumung beteiligt waren, während in den Städten der Westzonen schon früh eine professionelle Beseitigung durch Bauunternehmen stattfand. Während die Fotos der professionellen Trümmerräumung durch Unternehmen in den Archiven verschwanden, wurde das Bild der (Berliner) Trümmerfrau seit den 1950er Jahren in der DDR (und zum Teil in West-Berlin), seit den 1980er Jahren auch in der BRD in immer neuen Wendungen und gesellschafts- und geschlechterpolitischen Kontexten in das kollektive Bildgedächtnis eingeschrieben. Überzeugend arbeitete Leonie Treber am Bespiel der Enttrümmerungsarbeiten und der beteiligten Frauen Kontinuitäten und Brüche der deutsch-deutschen Geschichte von der Zeit des Zweiten Weltkrieges bis zur Nachwendezeit ebenso wie parallele und unterschiedliche Entwicklungen in der SBZ/DDR und den Westzonen/BRD heraus. Kommunalverwaltungen werden als überraschend eigenständige Akteure der ersten Nachkriegsjahre sichtbar und Enttrümmern als Teil der Sozial-, Gesellschafts- und Geschlechterpolitik begriffen. Politiken des propagandistischen Entwerfens und Verbreitens heroisierender Erzählungen und Visualisierungen zu Trümmerfrauen werden über die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinweg verfolgt und in den geschichtskulturellen Kontext eingearbeitet. Diese inhaltliche Breite wurde von der Jury als wegweisend erachtet.