Dissertationspreis
“She wants to do it her own way.” – Enslaved Women, Their Work, and Their Children in the Datini Merchant Community, 1380s–1410s
„In ihrer wunderbar anschaulich geschriebenen Dissertation untersucht Corinna Peres den Alltag, die Arbeit und die Erfahrungen versklavter Frauen und ihrer Kinder in der florentinischen Kaufmannsgemeinschaft um Francesco di Marco Datini zwischen 1380 und 1410. Dabei werden auch Erfahrungen mit Ausbeutung und Gewalt in wünschenswerter Klarheit aufgezeigt, ohne indes die versklavten Frauen eindeutig zu Opfern zu machen, sondern ihre Handlungsmöglichkeiten – dem bereits in der historischen Geschlechterforschung schon länger etablieren Konzept der agency folgend – aus den von ihren Besitzern und Peinigern verfassten Briefen und weiteren Quellenzeugnissen deutlich herauszuarbeiten.
Corinna Peres hat für ihre Untersuchung die Rekonstruktion von Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sklavinnen im spätmittelalterlichen Italien zum Gegenstand gewählt, dies jedoch nicht, wie bislang üblich, auf der Grundlage der breit überlieferten Notariatsakten, sondern auf der Basis der in großer Fülle überlieferten Korrespondenz der Fernhändlerfamilie Datini, die eines der wichtigsten kaufmännischen Netzwerke im Prato des späten 14. und frühen 15. Jahrhunderts unterhielt, zu dem auch Niederlassungen in anderen Städten, insbesondere in Spanien (Barcelona und Valencia sowie Mallorca) gehörten. Zwischen diesen Orten und innerhalb des Netzwerks zirkulierten nicht nur Briefe und Waren, sondern auch Personen, unter ihnen etliche als Dienstbotinnen im Haus mitlebende und -arbeitende Sklavinnen, die aus dem südlichen Mittelmeer sowie aus dem Schwarzmeerraum stammten.
Anhand von vier mikrohistorischen Fallstudien lässt sich der Weg der zunächst noch sehr jungen Sklavinnen von ihrer (möglichen) Herkunft über die Wege des mittelalterlichen Sklavenhandels bis zur Ankunft der versklavten Frauen in den Haushalten des Datini-Netzwerks verfolgen. Das nächste Kapitel der Arbeit führt hinein in das Alltags- und Arbeitsleben der Sklavinnen, zeigt die sozialen Beziehungs- und Abhängigkeitsverhältnisse und auch Probleme des Umgangs mit den Haushaltssklavinnen. Diese werden dann im Folgekapitel noch deutlicher herausgearbeitet, in dem es um die zwar von der Kirche geächtete, aber ansonsten rechtlich legitime sexuelle Ausbeutung der Frauen geht bis hin zu sexueller Gewalt. Schwangerschaften, Abtreibungen, aber auch Geburten und biologische Mutterschaft waren häufig die Folge, doch zeigt Corinna Peres in aller Deutlichkeit, dass die biologische Mutterschaft den versklavten Frauen keinerlei Rechte (und meist auch keinerlei Möglichkeiten) der sozialen Mutterschaft boten. Vielmehr wird in Corinna Peres‘ Arbeit sehr deutlich, wie wichtig es den Kaufleuten war, Nachkommen zu zeugen, und sei dies mit versklavten Frauen. Die Anerkennung der aus solchen Beziehungen hervorgegangenen Kinder jedoch brachte eine sofortige Trennung von Müttern und Kindern mit sich – meist um den Preis, dass die Mütter verkauft und «aus dem Haus» verbannt wurden, nicht zuletzt, um den Makel einer unehelichen Geburt zu verschleiern. Doch wurde die Vaterschaft bisweilen auch verheimlicht und die versklavten Frauen schon bei erkennbarer Schwangerschaft verkauft oder gegen hohe Vergütung als Ammen an andere Haushalte «verliehen».
Dass dies nicht immer ohne Reibungsverluste geschah, lässt sich an den Korrespondenzen vor allem auch daran erkennen, wie häufig das Thema schwangerer Sklavinnen in den Briefen auftaucht – und auch daran, dass sich gelegentlich die Kindsväter weigerten, die «fuori di casa»-Praxis zu befolgen. Dies taten vor allem diejenigen, die in Spanien tätig waren, wo eine ganz andere Praxis gepflegt wurde, nämlich die Befreiung der Mütter vom Joch der Sklaverei, bisweilen sogar deren Anerkennung als legitime Ehefrau («donna») des Kindsvaters. Insofern bietet die Dissertation auch wichtige Erkenntnisse für die Art und Qualität der Beziehungen zu Sklavinnen aus der Perspektive ihrer Besitzer und (gelegentlich) Liebhaber.
Die Dissertation eröffnet somit für die geschlechterhistorische Analyse des Themas „Enslaved Women“ völlig neue Zugänge in der klugen Verzahnung von Haushalt, Arbeit, Familie, Sexualität und Ökonomie. Corinna Peres beherrscht das theoretisch-methodische Repertoire der Geschlechterforschung in hervorragender Weise und führt seine Produktivität und Leistungsfähigkeit durch ihre äußerst sensible Quellenanalyse vor Augen, die ungewöhnlich weitreichende Einblicke in die Welt der versklavten Frauen und ihrer Besitzer im Mittelmeerraum bis in die individuelle bzw. sogar subjektive Ebene erlaubt.
Vorbildlich gelungen ist hier die Verbindung von struktureller Analyse und mikrohistorischen Fallstudien durch die gesamte Untersuchung hindurch. Gerade durch die Analyse der Briefkorrespondenzen eröffnet die Untersuchung anhand der rekonstruierten Lebenswege versklavter Frauen über die üblichen Kontexte und Kategorien der Betrachtung hinausgehende emotions-, erfahrungs- und alltagsgeschichtliche Aspekte und präsentiert eine Vielzahl äußerst innovativer neuer Ergebnisse. Die Dissertation dürfte damit für die Geschlechtergeschichte der Sklaverei zum herausragenden Standardwerk werden, wird aber darüber hinaus auch der geschlechterhistorischen Forschung zu Mutter-Kind-Beziehungen, zu Kindheit und Familienleben, zu weiblicher Arbeit oder auch zu weiblicher Mobilität ganz wichtige neue Anregungen und Einsichten vermitteln.“
(aus der Begründung der Jury des AKHFG)