Dissertationspreis

Preisträgerin 2024

Aline Vogt

Von „domestizierten“ Frauen, „wilden“ Männern und anderen Tieren. Mensch-Tier- und Geschlechterverhältnisse in naturphilosophischen und moralischen Diskursen während der französischen Spätaufklärung (1740-1804)

„Aline Vogt betritt mit ihrer ausgezeichneten Dissertationsschrift völliges Neuland und bietet eine erste geschichtswissenschaftlich und geschlechtergeschichtlich ausgerichtete Monografie zu einem Grundlagenthema der historischen Geschlechterforschung. Sie erschließt unter explizit geschlechterspezifischer Perspektive gleich mehrere Ebenen des Mensch-Tier-Verhältnisses, insbesondere aber die Verwobenheit der Diskurse um „Natur“, „natürliche Bestimmung“, Animalität, das Verhältnis von Natur und Kultur oder aber von Geschlechtlichkeit bzw. geschlechtlicher Vielfalt und Fortpflanzung, Domestizierung und Zivilisierung. Mit ihrer Analyse schließt die Dissertation eine große Lücke in der frühneuzeitlichen wie der gesamten historischen Geschlechterforschung im Kontext der Re- und Dekonstruktion der Entstehung der sogenannten „Geschlechtscharaktere“. Diese prägen bis in unsere Zeit das Verständnis von Männlichkeit und Weiblichkeit und kultivieren – nicht zuletzt vor dem Hintergrund neuer ultrakonservativer Geschlechterkonstruktionen – eine Verbindung zwischen Weiblichkeit und „Natur“.  

[…]

Die […] Untersuchung kennzeichnet eine große methodische wie quellenkritische Expertise und ein ganz besonders hohes theoretisches Reflexionsniveau […]. Sie ist klar an den Methoden und Perspektiven der historischen Geschlechterforschung orientiert und stellt explizit geschlechterspezifische Fragestellungen in den Mittelpunkt der Analyse. Über die gesamte Spanne ihrer drei Teile entwickelt und dekonstruiert sie, wie sich „Natur“ (Animalität) als neue Legitimationsfigur von Geschlecht oder Geschlechtszugehörigkeit in den neuen Naturwissenschaften etablierte und welchen Einfluss die daraus resultierenden wissenschaftlichen, theologischen, moralischen oder literarischen Diskurse auf die Vorstellungen von (menschlicher und tierischer) Geschlechtlichkeit wie Sexualität hatten. Dabei bezieht sich Aline Vogt zum einen auf theoretische Konzepte des Ökofeminismus, zum anderen auf eine geschlechtergeschichtlich erweiterte Diskursanalyse und schließlich auf das Konzept der Intersektionalität von Geschlecht, das sie zugleich auf die Tier- und die Menschenwelt als auch auf die Überlagerung und gegenseitige Beeinflussung der geschlechtlichen Konzepte der Spezies „Tier“ und der Spezies „Mensch“ anwendet.

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Aline Vogt ist mit ihrer Promotionsarbeit eine exzellente Studie zur Relevanz und Dynamik der Kategorie Geschlecht insbesondere auf der Theorieebene gelungen. Ihre Dissertation widmet sich einem wichtigen Desiderat der historischen Geschlechterforschung mit ganz besonderer Innovationskraft, indem sie mindestens drei Grundsatzüberlegungen innerhalb der Geschlechtergeschichte berührt und mit neuen Erkenntnissen bereichert: Die wissenschaftliche Diskussion um die enorme Veränderung der Geschlechterordnung an der Schwelle zur Moderne, deren Genese die Dissertationsschrift endlich plausibel rekonstruiert, das Modell der Intersektionalität, das in der Untersuchung auf das Mensch-Tier-Verhältnis erweitert wird und die Ökofeminismus-Debatte, die viele neuartige Anregungen erhält.“

(aus der Begründung der Jury des AKHFG)